radio arthur summer 2012
visible speech

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«visible speech» möchte eine Auseinandersetzung darüber anregen, wie Künstler/innen gegenwärtig mit dem gesprochenen Wort umgehen: Wird Sprechen eingesetzt um die Rezeption der eigenen Werke zu lenken, kritisch in Kunstdiskurse einzugreifen oder um Sprache als Kunst stattfinden zu lassen? In den versammelten Beiträgen wird künstlerisch mit und an Sprache gearbeitet. So wird beispielsweise das Ausdrucksvermögen der Stimme als künstlerisches Mittel eingesetzt, Literatur performativ umgesetzt, die Strukturen zeitgenössischer Kunstrezeption mittels sprachlicher Kunstgriffe verfremdet oder das Sprechen Dritter über ein Werk in dieses miteinbezogen.

Handout (PDF/1.5 MB)

1 Finding Chopin – Tris Vonna-Michell

«Finding Chopin» basiert auf einer Live-Performance aus dem Jahr 2009, die auf Vonna-Michells Beschäftigung mit Henri Chopin (1922-2008), einem Pionier der Lautpoesie, basiert.

Vonna-Michells Erzählung kreist dabei lose um diverse auf einem Tisch ausgebreitete Requisiten und Dokumente, die in einem Zusammenhang mit Chopin stehen und verbindet diese mit Fragmenten einer rätselhaften Reise mit Eiern und Eieruhren.

Tris Vonna-Michell (*1982) lebt und arbeitet in Stockholm, Schweden und Southend-on-Sea, UK. Er studierte an der Glasgow School of Art und an der Städelschule, Frankfurt am Main. In seinen Sprechperformances konstruiert er mit Hilfe von Fotografien, Mementos, und anderen Erinnerungsträger mehrschichtige Geschichten, in denen sich Dokumentarisches und Fiktionales vermischen.

2 It turns out that between a given point and a straight line, one can draw several perpendiculars – Avigail Moss

In ihrem Radio-Essay behandelt Avigail Moss Viktor Shklovskys Briefroman, «Zoo, or Letters Not About Love» (1923). In diesem adressiert Shklovsky, formalistischer Kritiker und Zeitgenosse der Futuristen, Briefe an das Objekt seiner unerfüllten Liebe, Elsa Triolet, während seines erzwungenen Exils in Berlin.

Shklovsky benutzt die Briefform um – neben anderen Dingen – die Dislozierung zu Thematisieren. Die Arbeit handelt von der Liebe genauso wie von der Materialität eines Textes. Eine frühere Version von «It turns out that between a given point and a straight line, one can draw several perpendiculars» wurde erstmals im Oktober 2011 im Rahmen des Projekts «Anfang Gut, Alles Gut.» im Kunsthaus Bregenz präsentiert.

Avigail Moss (*1983) ist Autorin und Künstlerin. Sie lebt und arbeitet in Los Angeles. Seit 2008 forscht sie zur Rolle des Briefeschreibens in Kunst und Literatur, zu diesem Thema stellt sie aus und publiziert in Publikationen wie «F.R. David». Gemeinsam mit Kerstin Stakemeier editiert sie das Buch «Implicit Horizon», eine Sammlung von Essays und Diskussionen zur Malerei, das im September 2012 bei der Jan van Eyck Academie erscheint.

3 Eine literarische Performance – Annette Wehrmann

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe «Intermediate im Rialto» las Anette Wehrmann auf einer Leiter stehend eine Auswahl ihrer literarischen Texte, die sie auf Luftschlangen geschrieben hatte und anschliessend in den Raum gehängt hatte.

Zum Lesen mussten die gerollten Papierstreifen jeweils gestrafft werden. Wehrmanns Luftschlangen-Texte verknüpfen Alltagsbeobachtungen mit philosophischen und ästhetischen Fragestellungen. Es sind Geschichten handlesender Nazi-Esoterikerinnen, Geldmangel, Fressattacken und die Zumutungen der Normalität.

Annette Wehrmann (1961-2010) studierte von 1985 bis 1993 Freie Kunst an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg und an der Städelschule Frankfurt. Die «Sprengungen», die 1993 als Aktionen im öffentlichen Raum in Hamburg stattfanden, gehören zu ihren bekanntesten Arbeiten. Wehrmann entwickelte eine Position zwischen Skulptur und Interventionen, die kunsthistorisch an die Methoden der Konzeptkunst und Aktionskunst sowie an die Sprache der Situationistischen Internationale anknüpfte.

4 conversation pieces – Romy Rüegger & Maja Ratkje

Im Sendegefäss «conversation pieces» verfolgt Romy Rüegger im Gespräch mit der Sound- und Stimmkünstlerin Maja Ratkje die Möglichkeiten der Weiterführung eines Werks im mündlichen Austausch.

Zwischen Soundcheck und Konzert in der Dampfzentrale Bern beschreibt Ratkje in Form von Antworten auf gestellte Fragen und aufgeworfene Begriffe ihre Arbeit. Gesprochene und im Studio aufgezeichnete «auditive Fussnoten» ergänzen das Gespräch und erläutern das künstlerische Feld in und entlang dem sich das Gespräch bewegt.

Romy Rüegger (*1983) ist Künstlerin. Sie ist Autorin von experimentellen Audiostücken, welche sie im Radio, als Vortrag, Lesung oder Live-Performance zur Aufführung bringt. Das Gefäss «conversation pieces» ist eine Fortführung ihrer künstlerischen Recherche und Praxis zu experimentellen Gesprächsformaten. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Frage nach dem Verhältnis von Werk und auditiver Dokumentation.

Maja Solveig Kjelstrup Ratkje (*1973) ist Komponistin, Musikerin, Performerin und Soundkünstlerin. Sie ist u.a. Mitglied der Improvisations- und Noise-gruppen «Spunk» und «fe-mail». Sie hat u.a. zusammen mit Zeena Parkins und Ikue Mori Konzerte gespielt und tritt auch regelmässig als Einzel-performerin auf. Im Zentrum steht dabei stets ihre eigene Stimme, die sie auch als Instrument benutzt, um paralinguales Ausgangsmaterial für ihre Improkonzerte zu generieren. Für das Langhöspiel «Neid» von Elfriede Jelinek hat sie 2011 für den Bayerischen Rundfunk die Musik komponiert.

5 The Weeping Wall Inside Us All – Karl Holmqvist

Wir spielen Stücke der CD «The Weeping Wall Inside Us All» des schwedischen Künstlers Karl Holmqvist. «The Weeping Wall Inside Us All» (NEU 008, Galerie Neu, 2011)

Karl Holmqvist (*1964) ist Künstler, Performer und Poet – bekannt für seine Arbeiten mit Text und gesprochenem Wort. Erst kürzlich war er anlässlich der Lesung «The Sun shines for everyone» in der Kunsthalle Zürich, und im vergangenen April bei der Live-Performance «what is it that comes coiling in the morning?» in Kollaboration mit Stefan Tcherepnin im Kunstraum New Jerseyy in Basel zu sehen.

6 Eine kurze Geschichte der Lautdichtung mitsamt einigen subjektiv ausgewählten Beispielen – Marc Matter

Die reine Lautdichtung ist eine experimentelle Gattung der akustischen Literatur, die in den letzten 100 Jahren eine radikale Form der Poesie entwickelt hat.

Zentrale Merkmale sind dabei der Sprachklang, spezielle Stimmtechniken und die Artikulation, später auch der Einsatz technischer Medien. Die inhaltliche Bedeutungsebene von Sprache wird bei dieser Form von Dichtung zugunsten einer ästhetischen Sinnlichkeit suspendiert.
Anlässlich der Launch von «summer 2012 – visible speech» am 26. Mai 2012 im Kunsthof Zürich präsentiert Marc Matter «VOICEOVER» als Live-Performance.Marc Matter (*1974) arbeitet als Medienkünstler, Musiker und Dozent. Er lebt momentan in Maastricht, wo er ein Forschungsprojekt über die Avantgardezeitschrift «Revue OU» an der Jan van Eyck Academie absolviert. Matter ist Gründungsmitglied der Künstlergruppe Institut fuer Feinmotorik. «Die 50 Skulpturen des Institut fuer Feinmotorik» wurden 2011 mit dem Karl-Sczuka Preis für Hörspiel als Radiokunst ausgezeichnet.

7 And Germans, Other Painters, Renegades – Michael Riedel

Die Audioarbeit «And Germans, Other Painters, Renegades» ist eine Arbeit von Michael Riedel aus dem Jahr 2005. In dieser Zeit füllten die Maler der sogenannten neuen deutschen Romantik die Feuilletons, allen voran Neo Rauch.

Riedel greift in dieser Arbeit, bzw. Arbeitsgruppe – neben der Audioarbeit, existieren auch Bilder undgedruckte und veröffentlichte Transkripte – den Text «Painters, Germans, and other Renegades» von Chrstine Mehring aus dem Katalog «Neo Rauch – Renegades» auf und eignet ihn sich für eine neue Verwertung und Umwertung an. Er ordnet die Worte des Textes in alphabetischer Reihenfolge und lässt ihn von einer Computerstimme lesen.

Michael Riedel (*1972) lebt in Frankfurt und New York. 2000 war er Mitbegründer des Kunstraums Oskar-von-Miller Str. 16 in Frankfurt. Mit einer starken Referenz zu den Strategien der Pop-Art ist das Einzugsgebiet von Riedels Kunst das zeitgenössische Feld der kulturellen (Bei-)Produktionen. Diese, seien es Kataloge, Flyer, Plakate, Emails und andere Daten jeglicher Art verwertet er in seinen Arbeiten als Material, Formsprache und Inspiration zu kritischen und ästhetischen Neuproduktionen.

8 encounter – Honesty by Seth Price

Valentina Stieger stellt im Sendegefäss «encounter» das Konzept-Album «Honesty», eine Zusammenarbeit des Künstlers Seth Price mit dem New Yorker Label und Kunstraum Audio Visual Arts vor.

Auf «Honesty» versammelt Price Aufnahmen der letzten zwölf Jahre: gesampelte Popsongs, fragmentarische Erzählungen, Geistergeschichten und Stücke aus älteren Videoarbeiten des Künstlers. Mit seinen zahlreichen selbstveröffentlichten Musik-Kompilationen reflektiert der New Yorker Künstler die technologische Entwicklung und ihren Einfluss auf die Produktionsbedingungen von elektronischer Popmusik.

http://audiovisualarts.org/

Valentina Stieger (*1980) ist Künstlerin und Co-Kuratorin von radio arthur. Im Gefäss «encounter» stellt sie künstlerische Arbeiten vor, die in auditiver Form vorliegen. Die Spannweite reicht von Gesprächen und Interviews zu Arbeiten an der Schnittstelle von Musik und Kunst.

9 choose an artist – Judith Welter/Tino Sehgal

Der Beitrag von Judith Welter nimmt die Tonspur einer Youtube-Dokumentation von Tino Sehgals Werk «This Variation», seinem Beitrag zur diesjährigen documenta, als Ausgangpunkt und befragt in einem essayistischen Text die Rolle der Sprache und des Erzählens im Kontext eines Werkes, das nicht dokumentiert werden darf.

Sehgal ist bekannt für seine performativ-partizipativen Arbeiten, die er selbst als «Situationen» bezeichnet. Mit seinen meist in Zusammenarbeit mit Akteuren entstehenden, ereignishaften Werken beschäftigt sich Sehgal mit den Möglichkeiten einer entmaterialisierten Produktion. Der Beitrag verfolgt die Spur der Anekdoten, die das Werk überdauern.

Judith Welter (*1980) ist Kunsthistorikerin und Sammlungskonservatorin am Migros Museum für Gegenwartskunst Zürich. Sie beschäftigt sich im Rahmen ihrer Dissertation mit der Rolle und Funktion der Anekdote und des Gerüchts in der zeitgenössischen Kunst.